Ba. Roach: Urbex- Was ist das überhaupt?

dr.roach

Ja…seit über sieben Jahren habe ich diesen Blog nun…eigentlich etwas spät, sich damit zu befassen. Wie schon im letzten Statusupdate erwähnt, habe ich mich die letzten zwei Jahre sehr intensiv mit dem Thema und der Szene für meine Abschlussarbeit befasst. Wenn wir über Urban Exploration sprechen haben wir eigentlich so viele Facetten, in so vielen Bereichen. Das hier ist ein Blog ohne wissenschaftlichen Anspruch, ich werde mich zwar gewisser Literatur bedienen, habe aber so die Möglichkeit alles etwas „aufzulockern“. Abgesehen davon will und darf ich es mir nicht herausnehmen hier gültige Thesen aufs digitale Papier zu klatschen, für einen solchen Anspruch bin ich sicher im Moment auch nicht qualifiziert genug. Generell sollen es daher einfach Überlegungen und Theorien zu einem Feld sein, welches so viele Möglichkeiten zur Betrachtung liefert. Ich selber komme aus der Ethnologie, daher bewegen sich auch meine Forschungen entlang des Faches, zusätzlich habe ich verschiedenes empirisches Material in Form von Interviews und teilnehmenden Beobachtungen gesammelt.

Für den Anfang wäre es aber interessant zu sehen, wie man Urban Exploration und Lost Places definieren kann.

Eine der Schwierigkeiten ist überhaupt zu definieren, was den Urban Exploration beinhaltet. Man kann von diesen Begriff ähnlich wie in der Urbanistik definieren, also der klassischen Stadtforschung. Ausgehend von der Annahme einer Differenz urbaner Lebensformen, die von einer rualen abgegrenzt werden kann, erforscht die Urbanistik ganz allgemein Orte von höchster Bevölkerungsdichte, urbaner Landnutzung und urbaner Vergesellschaftung. Trotz der immer größeren „Verstädterung“ gibt es auch eine  gleichzeitige Deurbanisation, auch diese Fragestellungen nehmen einen immer größeren Platz ein.

Urban Exploring und Rual Exploring 

Aber der Begriff Urban Exploration lässt sich in seinem heutigen Verständnis nur noch sehr bedingt in diese klassischen Grundfragen der Stadtforschung einordnen. Zum Ersten sollte hier aber noch ein weiterer Begriff eingeführt werden, der eine Definition nach dem Konzept der Urbanistik schwer macht: Rual Exploring. Die beiden Begriffe haben dieselbe Bedeutung, sie beziehen sich nur auf unterschiedliche geografische Umfelder, eben Urban (=städtische) und Rual (=ländliche) Erkundung. Breit gesprochen besteht Urban oder Rual Exploration aus dem Suchen, Finden, Besuchen und Dokumentieren von  menschengemachten Orten, meist eben verlassenen Orten, Baustellen, aktiven Gebäuden, Abwasserleitungen, Kanälen, Transittunnel und Werktunnel. Die Orte, die die Erkunder dabei interessieren sind normalerweise verwaist oder unzugänglich für die breite Masse, dabei gibt es zu beachten, dass Urban Exploration nicht unbedingt immer mit illegalen Betreten verbunden ist. Es gibt die Möglichkeiten legale Besuche durch Genehmigungen zu erlangen, zudem werden auch „Tage der offenen Türe“ zum Beispiel in Fabriken genutzt oder es besteht die Möglichkeit gesperrte Bereiche durch Kontakte zu betreten. Auch die Erkundung von Graubereichen zählt dazu, so sind Touren durch Abwasserkanäle technisch gesehen nicht illegal, da die Rohre selber Teil des öffentlichen Raumes und damit nicht im privaten Besitz sind.

Oft werden aber auch weitere Bereiche unter dem Begriff Urban Exploration gefasst, die nur teilweise die Definition erfüllen. Ich habe mich in Anlehnung an Jeff Chapman alias Ninjalicious (Access All Areas: a user’s guide to the art of urban exploration), deswegen auf zwei weitere Begriffe geeinigt: Urban Adventure und Infiltration. Der 2005 in Toronto verstorbene Kanadier gilt als einer der Pioniere der modernen Urban Exploration und war der Gründer des Magazines Infiltration: the zine about going places you’re not supposed to go.

Urban Adventure

Urban Adventure ist ein Begriff, der sich ursprünglich im Stadttourismus findet. Dort gilt er als Bezeichnung für Stadtführungen und Rundgänge, die sich vor allem abseits der normalen Touristenrouten abspielen. Dazu zählen Restaurant- und Bartouren oder auch die Besuche von Ruinen. Weiteres findet sich der Begriff in der Szene des „urbanen Sports“, wie BASE jumping, Parcour, Elevator surfing, Traincycling oder Trainhopping. Auch Geocacher sehen sich in diesem Bereich, wobei sich Geocaching längst nicht mehr auf den urbanen Raum beschränkt. Weiteres sollten noch Events genannt werden, die in alten Gebäuden und Hallen sowie Tunneln oder Bunkern stattfinden. Ein Beispiel hierfür wäre Nederlandsche Dok en Scheepsbouw Maatschappij in Amsterdam. Dabei handelt es sich um ein Künstlerkollektiv, welches sich in den Hallen der ehemaligen Amsterdamer Schiffsbaugesellschaft angesiedelt hat, die von 1946 bis 1978 bestanden hat. Neben einer Schiffsreparatur mit dem Namen Shipdock siedelten sich auf dem Werksgelände nicht nur Künstler, sondern auch kleine Büros, Start-Ups und Privatpersonen an. In einer Halle befinden sich der Benelux-Hauptsitz des MTV-Networks Europe. Regelmäßig finden auf dem Gelände Veranstaltungen und Ausstellungen statt.

Infiltration

Der Begriff Infiltration ist aus der Militärsprache entlehnt. Dort bezeichnet der Begriff das unbemerkte Eindringen meist kleiner Einheiten in ein von gegnerischen Truppen kontrolliertes Gebiet. Infiltriert wird mit der Absicht unbemerkt Aufträge, meist Informationsbeschaffung und Sabotage, im Feindgebiet auszuführen und nach Vollendung selbiger wieder unbemerkt zu exfiltrieren. Hier wird der Begriff für das unbemerkte Eindringen in geschlossene Einrichtungen und das Klettern auf Dächer aktiver Gebäude bezeichnet (siehe Forbitten Places). Das Ziel bei der Infiltration ist dabei nicht das Erkunden und Dokumentieren, sondern das Erschleichen von Leistungen zum Beispiel unbemerktes Eindringen in Filme oder Partys oder der sportliche Adrenalinkick.

Lost Places

Bei Lost Places handelt es sich normalerweise um Bauwerke aus der jüngeren Geschichte, die entweder (noch) nicht historisch erfasst wurden oder aufgrund ihrer geringen Bedeutung als nicht erwähnenswert gelten. Die eigentliche Bedeutung gilt für Orte, die ihre ursprüngliche Nutzung verloren haben oder die in Vergessenheit geraten sind. Dazu zählen insbesondere Gebäude, die beispielsweise nicht als Industriedenkmäler für die Nachwelt erhalten wurden und damit auch keinem breiten Publikum öffentlich zugänglich gemacht werden. Häufig wird die Bezeichnung aber auch synonym für nicht mehr genutzte militärische Anlagen verwendet.

Forbitten Places

Forbitten Places ist ein weiterer Begriff, der zumeist synonym mit Lost Places gebraucht wird. Jedoch wird Forbitten Places für jene Orte verwendet, die nicht verlassen im eigentlichen Sinne sind, sondern als unerreichbar für die breite Öffentlichkeit bezeichnet werden können. Diese Plätze werden gerne beim Rooftooping und Buildering aufgesucht. Vorwiegendes Ziel dabei sind Hausdächer. Neben den Aktivitäten mit viel Nervenkitzel bezeichnet Forbitten Places auch alle Berieche von Firmen, die nur dem eigenen Personal zugänglich sind sowie die Erforschung von aktiven Militärgebieten oder Abhörstationen. Forbitten Places werden also, im Gegensatz zu Lost Places, durch aktive Infiltration mit Umgehung von Überwachungsmaßnahmen erreicht. Das Erkunden steht dabei oft nicht im Vordergrund, zumeist sind die Gründe der Nervenkitzel oder auch die Anerkennung für das Erreichen der Orte. Diese Aktionen werden häufig auch in sozialen Netzwerken in Form von Fotos oder Videos verbreitet. Ein weiteres Phänomen, welches unter dem Namen Forbitten Places gehandelt wird, ist der Internet Trend der 24-Stunden-Challenge. Dabei werden Einrichtungen wie Kinos, Kaufhäuser, Bars oder auch fremde Häuser, zu Öffnungszeiten oder am Tag betreten und nach Geschäftsschluss nicht mehr verlassen. Nach einer Nacht wird versucht, die Einrichtungen wieder unbemerkt zu verlassen.

Soweit zum ersten Teil. Ich möchte es nicht zu lang werden lassen. Ich hoffe diese Beiträge sind nicht ganz zu „öde“. 😉

Cheers!

Literatur:
Jeff Chapman: Access All Areas: a user’s guide to the art of urban exploration, Toronto 2005
Bertsch, Christoph [Hrsg.]: Industriearchäologie. Nord-, Ost-, Südtirol und Vorarlberg (Sammelband), Innsbruck 1992
Bradley L. Garrett Explore Everything: Place-Hacking the City, London 2008
Andere Quellen:
https://www.uni-weimar.de/de/architektur-und-urbanistik/institute/ifeu/
https://de.wikipedia.org/wiki/Urbanistik
https://de.wikipedia.org/wiki/Nederlandsche_Dok_en_Scheepsbouw_Maatschappij
Eigenes Feldtagebuch

 

7 Gedanken zu “Ba. Roach: Urbex- Was ist das überhaupt?

  1. Also den Begriff „Lost Places“ kannte ich schon, alles andere, was du hier aufgezählt hast, ist mir aber total neu. Allerdings ein extrem interessantes Feld, mit dem du dich da beschäftigst.

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